Der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung

2005 legte der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD erstmals fest, dass in jeder Legislaturperiode ein „Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ erstellt werden soll. Drei Jahre später beauftragte Dr. Ursula von der Leyen, damalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, eine interdisziplinär zusammengesetzte Sachverständigenkommission damit, das Gutachten für den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zu erstellen (BMFSFJ 2008).

Das Gutachten der Sachverständigenkommission wurde im Januar 2011 an die Bundesregierung übergeben, die ihrerseits dazu eine Stellungnahme erarbeitete. Beide Teile zusammen – Gutachten der Sachverständigenkommission und Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten der Sachverständigenkommission – bilden den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der mit dem Titel „Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf“ im Juni 2011 veröffentlicht wurde.

Unter der Vorgabe „Gleichstellungspolitik in der Lebensverlaufsperspektive“ ermittelte die Sachverständigenkommission gegenwärtigen und zukünftigen gleichstellungspolitischen Handlungsbedarf. Die Lebensverlaufsperspektive ermöglicht dabei die Betrachtung von Ungleichheiten über den gesamten Lebensverlauf, d.h. im Längsschnitt. Lebensverläufe werden u.a. durch verschiedene Lebensphasen und unterschiedliche Institutionen geformt, Kristallisationspunkte bilden dabei die Übergänge von einer Lebensphase in die nächste, z.B. den Eintritt in das Berufsleben oder die Familiengründung. Die Lebensverlaufsperspektive zeigt die langfristigen Auswirkungen von bestimmten Ereignissen und Entscheidungen in unterschiedlichen Lebensphasen für unterschiedliche soziale Gruppen und unter den vorherrschenden Bedingungen auf und ermöglicht ihren Vergleich (Bundesregierung 2011: 39).

Zentraler Untersuchungsgegenstand der Sachverständigenkommission war „Gleichstellung in der Bildung und im Erwerbsleben“ und damit verknüpft auch die Themen Rollenbilder im Recht, Zeitverwendung von Frauen und Männern im Spannungsfeld von Erwerbs- und Sorgearbeit und soziale Sicherung im Alter  (Bundesregierung 2011: 30).

Für eine umfassende Bestandsaufnahme nationaler Gleichstellungspolitik beauftragte die Sachverständigenkommission insgesamt 17 Expertisen, die eigens für den Gleichstellungsbericht erstellt wurden. Ein Teil der Expertisen wurde im VS Verlag unter dem Titel „Neue Wege – Gleiche Chancen. Expertisen zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung“ (Klammer/Motz 2011) veröffentlicht. Darüber hinaus wurden auch die Ergebnisse und Erkenntnisse, die auf Veranstaltungen, Fachgesprächen und Anhörungen der Sachverständigenkommission erzielt wurden, in das Gutachten mit eingebunden (Bundesregierung 2011: 26f.).

Die Kommission erstellte auch elf Factsheets zu zentralen Themen des Gleichstellungsberichts, zum Beispiel zu den Themen Erwerbsunterbrechungen, Alterssicherung und Pflege. 

Die Sachverständigenkommission erarbeitete als Grundlage für ihre Arbeit ein Leitbild, „an dem sich die Neuausrichtung der Institutionen langfristig orientieren und auf das die Politik schrittweise hinarbeiten sollte“ (Bundesregierung 2011: 233).

„Wir streben eine Gesellschaft mit Wahlmöglichkeiten an. Die Beschäftigungsfähigkeit von Männern und Frauen wird durch eine gute Ausbildung gesichert. Sie werden befähigt, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen und auch eine eigene soziale Sicherung aufzubauen. Die beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen von Frauen und Männern werden gleichermaßen geschätzt und entgolten. Durch eine angemessene Infrastruktur für Kindertagesbetreuung, schulische Erziehung und Pflege sowie flexible Arbeitszeiten in den Unternehmen wird die Vereinbarkeit für Beruf und Familie gewährleistet. Die Erwerbsverläufe werden durch Optionen auf eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oder eine vorübergehende und reversible Verkürzung der Arbeitszeit flexibilisiert. Die Gesellschaft unterstützt die Wahrnehmung dieser Optionen zur Kindererziehung und -betreuung, Pflege und Weiterbildung. Es werden besondere Anreize gesetzt, damit die Optionen in den gesellschaftlich gewünschten Feldern sowohl von Frauen als auch von Männern genutzt werden. Die Nutzung dieser Optionen darf nicht zu Nachteilen in der Alterssicherung führen.“ (Bundesregierung 2011: 48).

Zentrale Empfehlungen des Ersten Gleichstellungsberichts sind:

  • Rollenbilder im Recht: Modernisierung der Rollenbilder und konsistente Ausrichtung des Rechts am Leitbild der Gleichberechtigung
  • Bildung: Abwärtsspiralen verhindern und Wahlmöglichkeiten in allen Lebensphasen fördern
  • Erwerbsleben: Fehlanreize beseitigen, Entgeltgleichheit und Aufstiegschancen schaffen
  • Zeitverwendung: Flexibilität ermöglichen und unterschiedliche Formen von Arbeit stärken
  • Alter: Honorierung der Pflegearbeit verbessern und Alterssicherung armutsfest machen.

 

Quellen:

Bundesregierung (2011): Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Erster Gleichstellungsbericht. BT-Drucksache 17/6240, Berlin.

Klammer, Ute; Motz, Markus (Hg.) (2011): Neue Wege – Gleiche Chancen. Expertisen zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Wiesbaden: VS-Verlag.

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2008): Sachverständigenkommission für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung tritt zusammen. BMFSFJ-Pressemitteilung vom 23.6.2008.

Deutscher Bundestag (2012): Geschlechtergerechtigkeit im Lebensverlauf. BT-Drucksache 17/8879, Berlin.